Logik
(Rezension von Dr. W. Quapp, Universität Leipzig)
Es ist ein schönes Buch. Dem Autor John W. Dawnson gelang die
schwierige Kombination der Beschreibung eines komplizierten Lebens und
eines zeitenwendenden Lebenswerkes. Dies gehört bekannt zu werden!
Kurt Gödels Ruhm außerhalb der Fachwelt ist erst
durch Douglas R. Hofstädters Kult-Buch ``Gödel, Escher, Bach -
Ein Endlos Geflochtenes Band'' (DTV, München) eingeleitet worden.
Bis zu dieser fulminanten Popularisierung über Escher und Bach
entzogen sich Gödels Jahrhundert-Ideen selbst einem breiteren
Fachpublikum unter den Mathematikern. (Denn an vielen Universitäten
ist Logik kein Pflichtfach.)
Nun liegt mit ``Kurt Gödel: Leben und Werk'' eine umfangreiche
Biografie vor, die sehr empfohlen werden kann. Wenn man überhaupt
Mathematik oder Logik (weitestgehend) ohne Formeln erklären kann,
so ist hier ein Beispiel gegeben. (Im Grunde geht es nicht. Jede
Popularisierung komplizierter Strukturen ohne Formeln muß über
die Sache hinweg reden. Der Leser kann auch die besten bildlichen
Umschreibungen nur glauben, nicht aber verstehen. Man vergleiche auch
die populäre ``Kurze Geschichte der Zeit'' von Stephen Hawking
- ein Physikbuch ohne Formeln.)
Insbesondere im IV. Kapitel ``Der Durchbruch'' liest sich die
Beschreibung der fundamentalen Sachverhalte der Gödelschen
logischen Revolution regelrecht spannend. Die Revision der Grundlagen,
die Gödel leistete, und die ihn auf eine Stufe etwa mit Einstein in
der Physik stellte, wird anschaulich sichtbar.
Es wird lesbar erzählt, wie die Atmosphäre in Wien war, in der
Gödels Denken sich entfalten konnte:
Hahn, Menger, Wittgenstein u.a.bedeutende Mathematiker und Philosophen,
aber auch mathematisch gebildete Literaten (Musil, Perutz, Broch)
bereiteten den Hintergrund
für den ``Wiener Kreis'', in dem Gödel in die
Grundfragendiskussion von Mathematik und Logik hineinwuchs. Musil hatte
schon 20 Jahre vor Gödel gemutmaßt, ``daß etwas in den
Grundlagen der ganzen Sache absolut nicht in Ordnung zu bringen
war.'' (in ``Der Mathematische Mensch'', 1913.) Diese Sicht in Wien war
konträr zum mathematischen Zeitgeist, der sich in Hilberts mehr
optimistischen Programm zur Grundlegung der Mathematik (1923/1926)
manifestierte, und das Gödel schließlich erschütterte.
Der Lebesweg Gödels ist typisch geprägt durch die
Jahrhundertkatastrophe. Geboren in Brünn 1906, danach Studium und
erste wissenschaftliche Anstellung in Wien, wo ihm 24-jährig sein
Beweis der Unvollständigkeitssätze gelang, dann Pendeln
zwischen Wien und Princeton, mit dem Glück eines Schlafwandlers die
dunklen Mächte der Zeit mißachtend, und schließlich 1940
letztmögliche Flucht über die Transsib und den Pazifik wieder in
die USA, die seine zweite Heimat wurden. Hier in Princeton ist er 1978
gestorben.
Neben den Unvollständigkeitssätzen, deren Beweisprinzip
erklärt wird, sind einige weitere Kapitel Gödels späteren Leistungen
gewidmet. Hier wird auf tiefere Beweise oft verzichtet. Die Aufzählung
der zähen Kämpfe um die Entwicklung der Logik, und die Entdeckung von
konträren kosmologischen Modellen (welche bisher von den Astronomen
nicht bestätigt werden konnten) ist eventuell auch nicht jedem Leser
durchgängig zuträglich.
``Zentral für Gödel Leben und Denken waren vier tiefe
überzeugungen: Daß das Universum rational organisiert und dem
menschlichen Geist begreiflich ist, daß es kausal deterministisch ist,
daß es eine Welt der Konzepte und Ideen neben der physikalischen Welt
gibt und daß versucht werden muß, das Verstehen von Konzepten durch
Introspektion zu erreichen'' (S.226)
Dies ist der Zugang, mit dem John W. Dawson den zweiten Aspekt in
Gödels Leben feinfühlig und verständnissuchend schildert:
Die Introspektion und Gödels Verfolgungswahn.
Mathematisches Genie und paranoide Verirrung ist das Klischee, welches sich
dem Normalmenschen aufdrängt. (Mein Friseur sagt immer: ``Mathematik,
nee, das wäre nichts für mich, da kriegt man's ja im Kopf.'')
Dawsons Biografie ist hier vergleichbar mit der Cantor-Biografie von
Purkert und Ilgauds (Birkhäuser, 1987), die eine ebensolche
Gratwanderung schafft. Zu schildern, wie sich Genie, der Kampf gegen
die Ablehnung bedeutender Zeitgenossen, und eine extreme
Selbstbezogenheit schließlich zur unauflöslichen Krankheit
steigern:
``Gödels Tod war voll tragischer Ironie: Er konnte der inneren Logik
seiner Paranoia nicht entkommen - er konnte sich nicht auf einen
``metatheoretischen'' Standpunkt stellen -, und so verhungerte er,
besessen von der Angst, vergiftet zu werden. Wie ein Geschöpf in einer
Zeitschleife eines Gödelschen Universums, das seine eigene
Vergangenheit wiederholen muß, konnte er seinem Schicksal nicht
entkommen'' (S.221, Beginn des XIII.Kapitels)
Das vorliegende Buch ist der XI. Band der Reihe Computerkultur. Dies
ist ein dritter wichtiger Aspekt bei der Wertung von Gödels
Lebensleistung. Es wird geschildert, welche Wirkungen Gödel und andere
Logiker auf das beginnende Computerzeitalter hatten. John von Neumann,
einer deren wichtigsten Pioniere, war ein enger Vertrauter Gödels in
Princeton. Er erkannte die Bedeutung der formalen Logik für Theorie und
Bau der ersten Computer. Das bis heute virulente ``''-Problem
der Informatik kann bis in Diskussionen zwischen von Neumann und Gödel
zurück verfolgt werden.
John W. Dawson, der schon Gödels Nachlass katalogisiert hat, informiert in diesem Buch sozusagen aus erster Hand gründlich über Leben und Werk Gödels. Die Fülle der verwendeten Materialien zeigt sich in einem umfassenden Apparat von Anmerkungen und Referenzen. Bei aller Wissenschaftlichkeit bleibt die Lektüre verständlich.