Wissenschaftlicher Literatur Anzeiger 40 Heft 2 (2001) S.75

Logik

(Rezension von Dr. W. Quapp, Universität Leipzig)

\fbox {\parbox{11cm}{
John W. Dawnson, jr.:\\
\par
\noindent
Kurt G\uml {o}del:...
...nglischen von Jakob Kellner\\
Wien, New York, Springer, 1999. 294 S., 89,-DM }}

Es ist ein schönes Buch. Dem Autor John W. Dawnson gelang die schwierige Kombination der Beschreibung eines komplizierten Lebens und eines zeitenwendenden Lebenswerkes. Dies gehört bekannt zu werden! Kurt Gödels Ruhm außerhalb der Fachwelt ist erst durch Douglas R. Hofstädters Kult-Buch ``Gödel, Escher, Bach - Ein Endlos Geflochtenes Band'' (DTV, München) eingeleitet worden. Bis zu dieser fulminanten Popularisierung über Escher und Bach entzogen sich Gödels Jahrhundert-Ideen selbst einem breiteren Fachpublikum unter den Mathematikern. (Denn an vielen Universitäten ist Logik kein Pflichtfach.)

Nun liegt mit ``Kurt Gödel: Leben und Werk'' eine umfangreiche Biografie vor, die sehr empfohlen werden kann. Wenn man überhaupt Mathematik oder Logik (weitestgehend) ohne Formeln erklären kann, so ist hier ein Beispiel gegeben. (Im Grunde geht es nicht. Jede Popularisierung komplizierter Strukturen ohne Formeln muß über die Sache hinweg reden. Der Leser kann auch die besten bildlichen Umschreibungen nur glauben, nicht aber verstehen. Man vergleiche auch die populäre ``Kurze Geschichte der Zeit'' von Stephen Hawking - ein Physikbuch ohne Formeln.) Insbesondere im IV. Kapitel ``Der Durchbruch'' liest sich die Beschreibung der fundamentalen Sachverhalte der Gödelschen logischen Revolution regelrecht spannend. Die Revision der Grundlagen, die Gödel leistete, und die ihn auf eine Stufe etwa mit Einstein in der Physik stellte, wird anschaulich sichtbar. Es wird lesbar erzählt, wie die Atmosphäre in Wien war, in der Gödels Denken sich entfalten konnte: Hahn, Menger, Wittgenstein u.a.bedeutende Mathematiker und Philosophen, aber auch mathematisch gebildete Literaten (Musil, Perutz, Broch) bereiteten den Hintergrund für den ``Wiener Kreis'', in dem Gödel in die Grundfragendiskussion von Mathematik und Logik hineinwuchs. Musil hatte schon 20 Jahre vor Gödel gemutmaßt, ``daß etwas in den Grundlagen der ganzen Sache absolut nicht in Ordnung zu bringen war.'' (in ``Der Mathematische Mensch'', 1913.) Diese Sicht in Wien war konträr zum mathematischen Zeitgeist, der sich in Hilberts mehr optimistischen Programm zur Grundlegung der Mathematik (1923/1926) manifestierte, und das Gödel schließlich erschütterte.

Der Lebesweg Gödels ist typisch geprägt durch die Jahrhundertkatastrophe. Geboren in Brünn 1906, danach Studium und erste wissenschaftliche Anstellung in Wien, wo ihm 24-jährig sein Beweis der Unvollständigkeitssätze gelang, dann Pendeln zwischen Wien und Princeton, mit dem Glück eines Schlafwandlers die dunklen Mächte der Zeit mißachtend, und schließlich 1940 letztmögliche Flucht über die Transsib und den Pazifik wieder in die USA, die seine zweite Heimat wurden. Hier in Princeton ist er 1978 gestorben.

Neben den Unvollständigkeitssätzen, deren Beweisprinzip erklärt wird, sind einige weitere Kapitel Gödels späteren Leistungen gewidmet. Hier wird auf tiefere Beweise oft verzichtet. Die Aufzählung der zähen Kämpfe um die Entwicklung der Logik, und die Entdeckung von konträren kosmologischen Modellen (welche bisher von den Astronomen nicht bestätigt werden konnten) ist eventuell auch nicht jedem Leser durchgängig zuträglich.

``Zentral für Gödel Leben und Denken waren vier tiefe überzeugungen: Daß das Universum rational organisiert und dem menschlichen Geist begreiflich ist, daß es kausal deterministisch ist, daß es eine Welt der Konzepte und Ideen neben der physikalischen Welt gibt und daß versucht werden muß, das Verstehen von Konzepten durch Introspektion zu erreichen'' (S.226) Dies ist der Zugang, mit dem John W. Dawson den zweiten Aspekt in Gödels Leben feinfühlig und verständnissuchend schildert: Die Introspektion und Gödels Verfolgungswahn. Mathematisches Genie und paranoide Verirrung ist das Klischee, welches sich dem Normalmenschen aufdrängt. (Mein Friseur sagt immer: ``Mathematik, nee, das wäre nichts für mich, da kriegt man's ja im Kopf.'') Dawsons Biografie ist hier vergleichbar mit der Cantor-Biografie von Purkert und Ilgauds (Birkhäuser, 1987), die eine ebensolche Gratwanderung schafft. Zu schildern, wie sich Genie, der Kampf gegen die Ablehnung bedeutender Zeitgenossen, und eine extreme Selbstbezogenheit schließlich zur unauflöslichen Krankheit steigern:
``Gödels Tod war voll tragischer Ironie: Er konnte der inneren Logik seiner Paranoia nicht entkommen - er konnte sich nicht auf einen ``metatheoretischen'' Standpunkt stellen -, und so verhungerte er, besessen von der Angst, vergiftet zu werden. Wie ein Geschöpf in einer Zeitschleife eines Gödelschen Universums, das seine eigene Vergangenheit wiederholen muß, konnte er seinem Schicksal nicht entkommen'' (S.221, Beginn des XIII.Kapitels)

Das vorliegende Buch ist der XI. Band der Reihe Computerkultur. Dies ist ein dritter wichtiger Aspekt bei der Wertung von Gödels Lebensleistung. Es wird geschildert, welche Wirkungen Gödel und andere Logiker auf das beginnende Computerzeitalter hatten. John von Neumann, einer deren wichtigsten Pioniere, war ein enger Vertrauter Gödels in Princeton. Er erkannte die Bedeutung der formalen Logik für Theorie und Bau der ersten Computer. Das bis heute virulente ``$P=N\,P$''-Problem der Informatik kann bis in Diskussionen zwischen von Neumann und Gödel zurück verfolgt werden.

John W. Dawson, der schon Gödels Nachlass katalogisiert hat, informiert in diesem Buch sozusagen aus erster Hand gründlich über Leben und Werk Gödels. Die Fülle der verwendeten Materialien zeigt sich in einem umfassenden Apparat von Anmerkungen und Referenzen. Bei aller Wissenschaftlichkeit bleibt die Lektüre verständlich.



  • Hauptseite

  • wq
    2001-10-19